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Keller Gottfried - Romeo und Julia auf dem Dorfe, niemiecki
[ Pobierz całość w formacie PDF ]Romeo und Julia auf dem Dorfe
Gottfried Keller
Diese Geschichte zu erzählen würde eine müßige Nachahmung sein, wenn sie nicht auf einem
wirklichen Vorfall beruhte, zum Beweise, wie tief im Menschenleben jede jener Fabeln wurzelt, auf
welche die großen alten Werke gebaut sind. Die Zahl solcher Fabeln ist mäßig; aber stets treten sie
in neuem Gewande wieder in die Erscheinung und zwingen alsdann die Hand, sie festzuhalten.
An dem schönen Flusse, der eine halbe Stunde entfernt an Seldwyl vorüberzieht, erhebt sich eine
weitgedehnte Erdwelle und verliert sich, selber wohlbebaut, in der fruchtbaren Ebene. Fern an
ihrem Fuße liegt ein Dorf, welches manche große Bauernhöfe enthält, und über die sanfte Anhöhe
lagen vor Jahren drei prächtige lange Äcker weithingestreckt gleich drei riesigen Bändern
nebeneinander. An einem sonnigen Septembermorgen pflügten zwei Bauern auf zweien dieser
Äcker, und zwar auf jedem der beiden äußersten; der mittlere schien seit langen Jahren brach und
wüst zu liegen, denn er war mit Steinen und hohem Unkraut bedeckt und eine Welt von geflügelten
Tierchen summte ungestört über ihm. Die Bauern aber, welche zu beiden Seiten hinter ihrem Pfluge
gingen, waren lange knochige Männer von ungefähr vierzig Jahren und verkündeten auf den ersten
Blick den sichern, gutbesorgten Bauersmann. Sie trugen kurze Kniehosen von starkem Zwillich, an
dem jede Falte ihre unveränderliche Lage hatte und wie in Stein gemeißelt aussah. Wenn sie, auf
ein Hindernis stoßend, den Pflug fester faßten, so zitterten die groben Hemdärmel von der leichten
Erschütterung, indessen die wohlrasierten Gesichter ruhig und aufmerksam, aber ein wenig
blinzelnd in den Sonnenschein vor sich hinschauten, die Furche bemaßen oder auch wohl zuweilen
sich umsahen, wenn ein fernes Geräusch die Stille des Landes unterbrach. Langsam und mit einer
gewissen natürlichen Zierlichkeit setzten sie einen Fuß um den andern vorwärts und keiner sprach
ein Wort, außer wenn er etwa dem Knechte, der die stattlichen Pferde antrieb, eine Anweisung gab.
So glichen sie einander vollkommen in einiger Entfernung; denn sie stellten die ursprüngliche Art
dieser Gegend dar, und man hätte sie auf den ersten Blick nur daran unterscheiden können, daß der
eine den Zipfel seiner weißen Kappe nach vorn trug, der andere aber hinten im Nacken hängen
hatte. Aber das wechselte zwischen ihnen ab, indem sie in der entgegengesetzten Richtung
pflügten; denn wenn sie oben auf der Höhe zusammentrafen und aneinander vorüberkamen, so
schlug dem, welcher gegen den frischen Ostwind ging, die Zipfelkappe nach hinten über, während
sie bei dem andern, der den Wind im Rücken hatte, sich nach vorne sträubte. Es gab auch jedesmal
einen mittlern Augenblick, wo die schimmernden Mützen aufrecht in der Luft schwankten und wie
zwei weiße Flammen gen Himmel züngelten. So pflügten beide ruhevoll und es war schön
anzusehen in der stillen goldenen Septembergegend, wenn sie so auf der Höhe aneinander
vorbeizogen, still und langsam, und sich mählich voneinander entfernten, immer weiter
auseinander, bis beide wie zwei untergehende Gestirne hinter die Wölbung des Hügels hinabgingen
und verschwanden, um eine gute Weile darauf wieder zu erscheinen. Wenn sie einen Stein in ihren
Furchen fanden, so warfen sie denselben auf den wüsten Acker in der Mitte mit lässig kräftigem
Schwunge, was aber nur selten geschah, da derselbe schon fast mit allen Steinen belastet war,
welche überhaupt auf den Nachbaräckern zu finden gewesen.
So war der lange Morgen zum Teil vergangen, als von dem Dorfe her ein kleines artiges
Fuhrwerklein sich näherte, welches kaum zu sehen war, als es begann die gelinde Höhe
heranzukommen. Das war ein grünbemaltes Kinderwägelchen, in welchem die Kinder der beiden
Pflüger, ein Knabe und ein kleines Ding von Mädchen, gemeinschaftlich den Vormittagsimbiß
heranfuhren. Für jeden Teil lag ein schönes Brot, in eine Serviette gewickelt, eine Kanne Wein mit
Gläsern und noch irgendein Zutütchen in dem Wagen, welches die zärtliche Bäuerin für den
fleißigen Meister mitgesandt, und außerdem waren da noch verpackt allerlei seltsam gestaltete
angebissene Äpfel und Birnen, welche die Kinder am Wege aufgelesen, und eine völlig nackte
Puppe mit nur einem Bein und einem verschmierten Gesicht, welche wie ein Fräulein zwischen den
Broten saß und sich behaglich fahren ließ. Dies Fuhrwerk hielt nach manchem Anstoß und
Aufenthalt endlich auf der Höhe im Schatten eines jungen Lindengebüsches, welches da am Rande
des Feldes stand, und nun konnte man die beiden Fuhrleute näher betrachten. Es war ein Junge von
sieben Jahren und ein Dirnchen von fünfen, beide gesund und munter, und weiter war nichts
Auffälliges an ihnen als daß beide sehr hübsche Augen hatten und das Mädchen dazu noch eine
bräunliche Gesichtsfarbe und ganz krause dunkle Haare, welche ihm ein feuriges und treuherziges
Ansehen gaben. Die Pflüger waren jetzt auch wieder oben angekommen, steckten den Pferden
etwas Klee vor und ließen die Pflüge in der halbvollendeten Furche stehen, während sie als gute
Nachbaren sich zu dem gemeinschaftlichen Imbiß begaben und sich da zuerst begrüßten; denn
bislang hatten sie sich noch nicht gesprochen an diesem Tage.
Wie nun die Männer mit Behagen ihr Frühstück einnahmen und mit zufriedenem Wohlwollen
den Kindern mitteilten, die nicht von der Stelle wichen, solange gegessen und getrunken wurde,
ließen sie ihre Blicke in der Nähe und Ferne herumschweifen und sahen das Städtchen räucherig
glänzend in seinen Bergen liegen; denn das reichliche Mittagsmahl, welches die Seldwyler alle
Tage bereiteten, pflegte ein weithin scheinendes Silbergewölk über ihre Dächer emporzutragen,
welches lachend an ihren Bergen hinschwebte.
»Die Lumpenhunde zu Seldwyl kochen wieder gut!« sagte Manz, der eine der Bauern, und
Marti, der andere, erwiderte: »Gestern war einer bei mir wegen des Ackers hier.« - »Aus dem
Bezirksrat? bei mir ist er auch gewesen!« sagte Manz. »So? und meinte wahrscheinlich auch, du
solltest das Land benutzen und den Herren die Pacht zahlen?« - »Ja, bis es sich entschieden habe,
wem der Acker gehöre und was mit ihm anzufangen sei. Ich habe mich aber bedankt, das
verwilderte Wesen für einen andern herzustellen, und sagte, sie sollten den Acker nur verkaufen
und den Ertrag aufheben, bis sich ein Eigentümer gefunden, was wohl nie geschehen wird; denn
was einmal auf der Kanzlei zu Seldwyl liegt, hat da gute Weile, und überdem ist die Sache schwer
zu entscheiden. Die Lumpen möchten indessen gar zu gern etwas zu naschen bekommen durch den
Pachtzins, was sie freilich mit der Verkaufssumme auch tun könnten; allein wir würden uns hüten,
dieselbe zu hoch hinaufzutreiben, und wir wüßten dann doch, was wir hätten und wem das Land
gehört!« »Ganz so meine ich auch und habe dem Steckleinspringer eine ähnliche Antwort
gegeben!«
Sie schwiegen eine Weile, dann fing Manz wiederum an: »Schad ist es aber doch, daß der gute
Boden so daliegen muß, es ist nicht zum Ansehen, das geht nun schon in die zwanzig Jahre so und
keine Seele fragt darnach; denn hier im Dorf ist niemand, der irgendeinen Anspruch auf den Acker
hat, und niemand weiß auch, wo die Kinder des verdorbenen Trompeters hingekommen sind.«
»Hm!« sagte Marti, »das wäre so eine Sache! Wenn ich den schwarzen Geiger ansehe, der sich
bald bei den Heimatlosen aufhält, bald in den Dörfern zum Tanz aufspielt, so möchte ich darauf
schwören, daß er ein Enkel des Trompeters ist, der freilich nicht weiß, daß er noch einen Acker hat.
Was täte er aber damit? Einen Monat lang sich besaufen und dann nach wie vor! Zudem, wer dürfte
da einen Wink geben, da man es doch nicht sicher wissen kann!«
»Da könnte man eine schöne Geschichte anrichten!« antwortete Manz, »wir haben so genug zu
tun, diesem Geiger das Heimatsrecht in unserer Gemeinde abzustreiten, da man uns den Fetzel
fortwährend aufhalsen will. Haben sich seine Eltern einmal unter die Heimatlosen begeben, so mag
er auch dableiben und dem Kesselvolk das Geigelein streichen. Wie in aller Welt können wir
wissen, daß er des Trompeters Sohnessohn ist? Was mich betrifft, wenn ich den Alten auch in dem
dunklen Gesicht vollkommen zu erkennen glaube, so sage ich: irren ist menschlich, und das
geringste Fetzchen Papier, ein Stücklein von einem Taufschein würde meinem Gewissen besser tun
als zehn sündhafte Menschengesichter!« »Eia, sicherlich!« sagte Marti, »er sagt zwar, er sei nicht
schuld, daß man ihn nicht getauft habe! Aber sollen wir unsern Taufstein tragbar machen und in den
Wäldern herumtragen? Nein, er steht fest in der Kirche, und dafür ist die Totenbahre tragbar, die
draußen an der Mauer hängt. Wir sind schon übervölkert im Dorf und brauchen bald zwei
Schulmeister!«
Hiemit war die Mahlzeit und das Zwiegespräch der Bauern geendet, und sie erhoben sich, den
Rest ihrer heutigen Vormittagsarbeit zu vollbringen. Die beiden Kinder hingegen, welche schon den
Plan entworfen hatten, mit den Vätern nach Hause zu ziehen, zogen ihr Fuhrwerk unter den Schutz
der jungen Linden und begaben sich dann auf einen Streifzug in dem wilden Acker, da derselbe mit
seinen Unkräutern, Stauden und Steinhaufen eine ungewohnte und merkwürdige Wildnis darstellte.
Nachdem sie in der Mitte dieser grünen Wildnis einige Zeit hingewandert, Hand in Hand, und sich
daran belustigt, die verschlungenen Hände über die hohen Distelstauden zu schwingen, ließen sie
sich endlich im Schatten einer solchen nieder und das Mädchen begann seine Puppe mit den langen
Blättern des Wegekrautes zu bekleiden, so daß sie einen schönen grünen und ausgezackten Rock
bekam; eine einsame rote Mohnblume, die da noch blühte, wurde ihr als Haube über den Kopf
gezogen und mit einem Grase festgebunden, und nun sah die kleine Person aus wie eine Zauberfrau,
besonders nachdem sie noch ein Halsband und einen Gürtel von kleinen roten Beerchen erhalten.
Dann wurde sie hoch in die Stengel der Distel gesetzt und eine Weile mit vereinten Blicken
angeschaut, bis der Knabe sie genugsam besehen und mit einem Steine herunterwarf. Dadurch
geriet aber ihr Putz in Unordnung und das Mädchen entkleidete sie schleunigst, um sie aufs neue zu
schmücken; doch als die Puppe eben wieder nackt und bloß war und nur noch der roten Haube sich
erfreuete, entriß der wilde Junge seiner Gefährtin das Spielzeug und warf es hoch in die Luft. Das
Mädchen sprang klagend darnach, allein der Knabe fing die Puppe zuerst wieder auf, warf sie aufs
neue empor, und indem das Mädchen sie vergeblich zu haschen sich bemühte, neckte er es auf diese
Weise eine gute Zeit. Unter seinen Händen aber nahm die fliegende Puppe Schaden, und zwar am
Knie ihres einzigen Beines, allwo ein kleines Loch einige Kleiekörner durchsickern ließ. Kaum
bemerkte der Peiniger dies Loch, so verhielt er sich mäuschenstill und war mit offenem Munde
eifrig beflissen, das Loch mit seinen Nägeln zu vergrößern und dem Ursprung der Kleie
nachzuspüren. Seine Stille erschien dem armen Mädchen höchst verdächtig und es drängte sich
herzu und mußte mit Schrecken sein böses Beginnen gewahren. »Sieh mal!« rief er und schlenkerte
ihr das Bein vor der Nase herum, daß ihr die Kleie ins Gesicht flog, und wie sie darnach langen
wollte und schrie und flehte, sprang er wieder fort und ruhte nicht eher, bis das ganze Bein dürr und
leer herabhing als eine traurige Hülse. Dann warf er das mißhandelte Spielzeug hin und stellte sich
höchst frech und gleichgültig, als die Kleine sich weinend auf die Puppe warf und dieselbe in ihre
Schürze hüllte. Sie nahm sie aber wieder hervor und betrachtete wehselig die Ärmste, und als sie
das Bein sah, fing sie abermals an laut zu weinen, denn dasselbe hing an dem Rumpfe nicht anders
denn das Schwänzchen an einem Molche. Als sie gar so unbändig weinte, ward es dem Missetäter
endlich etwas übel zumut und er stand in Angst und Reue vor der Klagenden, und als sie dies
merkte, hörte sie plötzlich auf und schlug ihn einigemal mit der Puppe, und er tat, als ob es ihm weh
täte, und schrie au! so natürlich, daß sie zufrieden war und nun mit ihm gemeinschaftlich die
Zerstörung und Zerlegung fortsetzte. Sie bohrten Loch auf Loch in den Marterleib und ließen aller
Enden die Kleie entströmen, welche sie sorgfältig auf einem flachen Steine zu einem Häufchen
sammelten, umrührten und aufmerksam betrachteten. Das einzige Feste, was noch an der Puppe
bestand, war der Kopf und mußte jetzt vorzüglich die Aufmerksamkeit der Kinder erregen; sie
trennten ihn sorgfältig los von dem ausgequetschten Leichnam und guckten erstaunt in sein hohles
Innere. Als sie die bedenkliche Höhlung sahen und auch die Kleie sahen, war es der nächste und
natürlichste Gedankensprung, den Kopf mit der Kleie auszufüllen, und so waren die Fingerchen der
Kinder nun beschäftigt, um die Wette Kleie in den Kopf zu tun, so daß zum erstenmal in seinem
Leben etwas in ihm steckte. Der Knabe mochte es aber immer noch für ein totes Wissen halten,
weil er plötzlich eine große blaue Fliege fing und, die summende zwischen beiden hohlen Händen
haltend, dem Mädchen gebot, den Kopf von der Kleie zu entleeren. Hierauf wurde die Fliege
hineingesperrt und das Loch mit Gras verstopft. Die Kinder hielten den Kopf an die Ohren und
setzten ihn dann feierlich auf einen Stein; da er noch mit der roten Mohnblume bedeckt war, so
glich der Tönende jetzt einem weissagenden Haupte und die Kinder lauschten in tiefer Stille seinen
Kunden und Märchen, indessen sie sich umschlungen hielten. Aber jeder Prophet erweckt
Schrecken und Undank; das wenige Leben in dem dürftig geformten Bilde erregte die menschliche
Grausamkeit in den Kindern, und es wurde beschlossen, das Haupt zu begraben. So machten sie ein
Grab und legten den Kopf, ohne die gefangene Fliege um ihre Meinung zu befragen, hinein und
errichteten über dem Grabe ein ansehnliches Denkmal von Feldsteinen. Dann empfanden sie einiges
Grauen, da sie etwas Geformtes und Belebtes begraben hatten, und entfernten sich ein gutes Stück
von der unheimlichen Stätte. Auf einem ganz mit grünen Kräutern bedeckten Plätzchen legte sich
das Dirnchen auf den Rücken, da es müde war, und begann in eintöniger Weise einige Worte zu
singen, immer die nämlichen, und der Junge kauerte daneben und half, indem er nicht wußte, ob er
auch vollends umfallen solle, so lässig und müßig war er. Die Sonne schien dem singenden
Mädchen in den geöffneten Mund, beleuchtete dessen blendendweiße Zähnchen und
durchschimmerte die roten Purpurlippen. Der Knabe sah die Zähne, und dem Mädchen den Kopf
haltend und dessen Zähnchen neugierig untersuchend, rief er: »Rate, wie viele Zähne hat man?«
Das Mädchen besann sich einen Augenblick, als ob es reiflich nachzählte, und sagte dann auf
Geratewohl: »Hundert!« - »Nein, zweiunddreißig!« rief er, »wart, ich will einmal zählen!« Da
zählte er die Zähne des Kindes, und weil er nicht zweiunddreißig herausbrachte, so fing er immer
wieder von neuem an. Das Mädchen hielt lange still, als aber der eifrige Zähler nicht zu Ende kam,
raffte es sich auf und rief.- »Nun will ich deine zählen!« Nun legte sich der Bursche hin ins Kraut,
das Mädchen über ihn, umschlang seinen Kopf, er sperrte das Maul auf, und es zählte: Eins, zwei,
sieben, fünf, zwei, eins; denn die kleine Schöne konnte noch nicht zählen. Der Junge verbesserte sie
und gab ihr Anweisung, wie sie zählen solle, und so fing auch sie unzähligemal von neuem an und
das Spiel schien ihnen am besten zu gefallen von allem, was sie heut unternommen. Endlich aber
sank das Mädchen ganz auf den kleinen Rechenmeister nieder und die Kinder schliefen ein in der
hellen Mittagssonne.
Inzwischen hatten die Väter ihre Äcker fertig gepflügt und in frischduftende braune Fläche
umgewandelt. Als nun, mit der letzten Furche zu Ende gekommen, der Knecht des einen halten
wollte, rief sein Meister: »Was hältst du? Kehr noch einmal um!« - »Wir sind ja fertig!« sagte der
Knecht. »Halt’s Maul und tu, wie ich dir sage!« der Meister. Und sie kehrten um und rissen eine
tüchtige Furche in den mittlern herrenlosen Acker hinein, daß Kraut und Steine flogen. Der Bauer
hielt sich aber nicht mit der Beseitigung derselben auf, er mochte denken, hiezu sei noch Zeit genug
vorhanden, und er begnügte sich, für heute die Sache nur aus dem Gröbsten zu tun. So ging es rasch
die Höhe empor in sanftem Bogen, und als man oben angelangt und das liebliche Windeswehen
eben wieder den Kappenzipfel des Mannes zurückwarf, pflügte auf der anderen Seite der Nachbar
vorüber, mit dem Zipfel nach vorn, und schnitt ebenfalls eine ansehnliche Furche vom mittlern
Acker, daß die Schollen nur so zur Seite flogen. jeder sah wohl, was der andere tat, aber keiner
schien es zu sehen und sie entschwunden sich wieder, indem jedes Sternbild still am andern
vorüberging und hinter diese runde Welt hinabtauchte. So gehen die Weberschiffchen des
Geschickes aneinander vorbei und »was er webt, das weiß kein Weber!«
Es kam eine Ernte um die andere, und jede sah die Kinder größer und schöner und den
herrenlosen Acker schmäler zwischen seinen breitgewordenen Nachbaren. Mit jedem Pflügen
verlor er hüben und drüben eine Furche, ohne daß ein Wort darüber gesprochen worden wäre und
ohne daß ein Menschenauge den Frevel zu sehen schien. Die Steine wurden immer mehr
zusammengedrängt und bildeten schon einen ordentlichen Grat auf der ganzen Länge des Ackers,
und das wilde Gesträuch darauf war schon so hoch, daß die Kinder, obgleich sie gewachsen waren,
sich nicht mehr sehen konnten, wenn eines dies- und das andere jenseits ging. Denn sie gingen nun
nicht mehr gemeinschaftlich auf das Feld, da der zehnjährige Salomon oder Sali, wie er genannt
wurde, sich schon wacker auf Seite der größeren Burschen und der Männer hielt; und das braune
Vrenchen, obgleich es ein feuriges Dirnchen war, mußte bereits unter der Obhut seines Geschlechts
gehen, sonst wäre es von den andern als ein Bubenmädchen ausgelacht worden. Dennoch nahmen
sie während jeder Ernte, wenn alles auf den Äckern war, einmal Gelegenheit, den wilden
Steinkamm, der sie trennte, zu besteigen und sich gegenseitig von demselben herunterzustoßen.
Wenn sie auch sonst keinen Verkehr mehr miteinander hatten, so schien diese jährliche Zeremonie
um so sorglicher gewahrt zu werden als sonst nirgends die Felder ihrer Väter zusammenstießen.
Indessen sollte der Acker doch endlich verkauft und der Erlös einstweilen amtlich aufgehoben
werden. Die Versteigerung fand an Ort und Stelle statt, wo sich aber nur einige Gaffer einfanden
außer den Bauern Manz und Marti, da niemand Lust hatte, das seltsame Stückchen zu erstehen und
zwischen den beiden Nachbaren zu bebauen. Denn obgleich diese zu den besten Bauern des Dorfes
gehörten und nichts weiter getan hatten als was zwei Drittel der übrigen unter diesen Umständen
auch getan haben würden, so sah man sie doch jetzt stillschweigend darum an und niemand wollte
zwischen ihnen eingeklemmt sein mit dem geschmälerten Waisenfelde. Die meisten Menschen sind
fähig oder bereit, ein in den Lüften umgehendes Unrecht zu verüben, wenn sie mit der Nase darauf
stoßen; sowie es aber von einem begangen ist, sind die übrigen froh, daß sie es doch nicht gewesen
sind, daß die Versuchung nicht sie betroffen hat, und sie machen nun den Auserwählten zu dem
Schlechtigkeitsmesser ihrer Eigenschaften und behandeln ihn mit zarter Scheu als einen Ableiter
des Übels, der von den Göttern gezeichnet ist, während ihnen zugleich noch der Mund wässert nach
den Vorteilen, die er dabei genossen. Manz und Marti waren also die einzigen, welche ernstlich auf
den Acker boten; nach einem ziemlich hartnäckigen Überbieten erstand ihn Manz und er wurde ihm
zugeschlagen. Die Beamten und die Gaffer verloren sich vom Felde; die beiden Bauern, welche
sich auf ihren Äckern noch zu schaffen gemacht, trafen beim Weggehen wieder zusammen und
Marti sagte: »Du wirst nun dein Land, das alte und das neue, wohl zusammenschlagen und in zwei
gleiche Stücke teilen? Ich hätte es wenigstens so gemacht, wenn ich das Ding bekommen hätte.« -
»Ich werde es allerdings auch tun«, antwortete Manz, »denn als ein Acker würde mir das Stück zu
groß sein. Doch was ich sagen wollte: Ich habe bemerkt, daß du neulich noch am unteren Ende
dieses Ackers, der jetzt mir gehört, schräg hineingefahren bist und ein gutes Dreieck abgeschnitten
hast. Du hast es vielleicht getan in der Meinung, du werdest das ganze Stück an dich bringen und es
sei dann sowieso dein. Da es nun aber mir gehört, so wirst du wohl einsehen, daß ich eine solche
ungehörige Einkrümmung nicht brauchen noch dulden kann, und wirst nichts dagegen haben, wenn
ich den Strich wieder grad mache! Streit wird das nicht abgeben sollen!«
Marti erwiderte ebenso kaltblütig als ihn Manz angeredet hatte: »Ich sehe auch nicht, wo Streit
herkommen soll! Ich denke, du hast den Acker gekauft, wie er da ist, wir haben ihn alle
gemeinschaftlich besehen und er hat sich seit einer Stunde nicht um ein Haar verändert!«
»Larifari!« sagte Manz, »was früher geschehen, wollen wir nicht aufrühren! Was aber zuviel ist,
ist zuviel und alles muß zuletzt eine ordentliche grade Art haben; diese drei Äcker sind von jeher so
grade nebeneinander gelegen, wie nach dem Richtscheit gezeichnet; es ist ein ganz absonderlicher
Spaß von dir, wenn du nun einen solchen lächerlichen und unvernünftigen Schnörkel dazwischen
bringen willst, und wir beide würden einen Übernamen bekommen, wenn wir den krummen Zipfel
da bestehen ließen. Er muß durchaus weg!«
Marti lachte und sagte: »Du hast ja auf einmal eine merkwürdige Furcht vor dem Gespötte der
Leute! Das läßt sich aber ja wohl machen; mich geniert das Krumme gar nicht; ärgert es dich, gut,
so machen wir es grad, aber nicht auf meiner Seite, das geb ich dir schriftlich, wenn du willst!«
»Rede doch nicht so spaßhaft«, sagte Manz, »es wird wohl grad gemacht, und zwar auf deiner
Seite, darauf kannst du Gift nehmen!«
»Das werden wir ja sehen und erleben!« sagte Marti, und beide Männer gingen auseinander,
ohne sich weiter anzublicken; vielmehr starrten sie nach verschiedener Richtung ins Blaue hinaus,
als ob sie da wunder was für Merkwürdigkeiten im Auge hätten, die sie betrachten müßten mit
Aufbietung aller ihrer Geisteskräfte.
Schon am nächsten Tage schickte Manz einen Dienstbuben, ein Tagelöhnermädchen und sein
eigenes Söhnchen Sali auf den Acker hinaus, um das wilde Unkraut und Gestrüpp auszureuten und
auf Haufen zu bringen, damit nachher die Steine um so bequemer weggefahren werden könnten.
Dies war eine Änderung in seinem Wesen, daß er den kaum elfjährigen Jungen, der noch zu keiner
Arbeit angehalten worden, nun mit hinaus sandte, gegen die Einsprache der Mutter. Es schien, da er
es mit ernsthaften und gesalbten Worten tat, als ob er mit dieser Arbeitsstrenge gegen sein eigenes
Blut das Unrecht betäuben wollte, in dem er lebte und welches nun begann seine Folgen ruhig zu
entfalten. Das ausgesandte Völklein jätete inzwischen lustig an dem Unkraut und hackte mit
Vergnügen an den wunderlichen Stauden und Pflanzen aller Art, die da seit Jahren wucherten. Denn
da es eine außerordentliche, gleichsam wilde Arbeit war, bei der keine Regel und keine Sorgfalt
erheischt wurde, so galt sie als eine Lust. Das wilde Zeug, an der Sonne gedörrt, wurde aufgehäuft
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