King, Stephen King

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Stephen King
Umneys letzter Fall
Umneys letzter Fall
Der Regen ist vorbei. Die Hügel sind noch grün, und im Tal jenseits der Hollywood Hills kann man
Schnee auf den höchsten Bergen sehen. Die Pelzhändler bieten ihre jährlichen Ausverkaufsangebote
feil. Die Hurenhäuser, die sich auf sechzehnjährige Jungfrauen spezialisiert haben, verzeichnen
Hochkonjunktur. Und in Beverly Hills fangen die Jacarandabäume an zu blühen.
--Raymond Chandler
Die kleine Schwester
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1. Neuigkeiten von Peoria
Es war einer dieser Frühlingsmorgen, die so L. A.--typisch sind, daß man damit rechnet, irgendwo das
kleine Zeichen für geschützte Markennamen -- -- aufgedruckt zu sehen. Die Abgase der Fahrzeuge auf
dem Sunset rochen schwach nach Oleander, der Oleander war schwach mit Abgasen parfümiert, und
der Himmel schien so klar wie das Gewissen eines bigotten Baptisten zu sein. Peoria Smith, der blinde
Zeitungsjunge, stand an seiner gewohnten Stelle Ecke Sunset und Laurel, und wenn das nicht hieß,
daß Gott im Himmel wohnte und alles in der Welt wohlgefällig war, dann wußte ich nicht, was es
sonst heißen konnte.
Doch seit ich heute morgen zu ungewohnter Zeit, um 7:30 Uhr, die Füße aus dem Bett geschwungen
hatte, schien alles ein wenig aus dem Lot geraten zu sein, ein bißchen verschwommen an den
Rändern. Erst als ich mich rasierte -- oder zumindest, als ich den widerborstigen kleinen Stoppeln das
Rasiermesser zeigte und mich bemühte, sie damit zur Unterwürfigkeit einzuschüchtern --, wurde mir
einer der Gründe dafür klar. Ich war mindestens bis zwei wach gewesen und hatte gelesen, hatte aber
die Demmicks nicht nach Hause kommen hören, bis zu den Ohrläppchen abgefüllt und in diese
gefauchten Einzeiler vertieft, die scheinbar die Grundlage ihrer Ehe bilden.
Und Buster hatte ich auch nicht gehört, was wahrscheinlich noch seltsamer war. Buster, der Welsh--
Corgi der Demmicks, hat ein schrilles Bellen an sich, das einem wie Glasscherben durch den Kopf
schneidet, und er macht so oft er kann Gebrauch davon. Außerdem ist er von der eifersüchtigen
Sorte. Er stößt jedesmal einen seiner schrillen Beller aus, wenn George und Gloria in den Clinch
gehen, und wenn sie nicht miteinander zanken wie zwei Vaudevillekomiker, sind George und Gloria
normalerweise immer im Clinch. Ich bin mehr als einmal eingeschlafen, habe sie kichern gehört,
während dieser Köter um ihre Füße springt und sein Kläffkläffkläff ausstoßt, und mich gefragt, wie
schwierig es wäre, einen muskulösen, mittelgroßen Hund mit einer Klaviersaite zu erwürgen. Aber
letzte Nacht war es im Apartment der Demmicks so still wie im Grab gewesen. Das war seltsam, aber
längst nicht weltbewegend, die Demmicks waren schon im günstigsten Fall nicht gerade das perfekte
Paar mit geregeltem Lebenswandel.
Peoria Smith dagegen schien wohlauf -- quietschfidel wie immer, und er erkannte mich an meinem
Gang, obwohl es mindestens eine Stunde vor meiner üblichen Zeit war. Er trug ein ausgebeultes T--
Shirt mit der Aufschrift CalTech, das ihm bis zu den Schenkeln reichte, und Knickerbocker aus Kord,
die seine schorfigen Knie freiließ. Sein verhaßter weißer Stock lehnte achtlos an der Seite des
Kartentischs, auf dem er seine Geschäfte abwickelte.
"Ah, Mr. Umney! Wie gehts'n dem Jungen?"
Peorias dunkle Brille funkelte im morgendlichen Sonnenlicht, und als er sich mit meinem Exemplar der
L. A. Times in der Hand zum Geräusch meiner Schritte umdrehte, hatte ich kurz einen
beunruhigenden Gedanken: Es war, als hätte ihm jemand zwei große schwarze Löcher ins Gesicht
gebohrt. Ich schüttelte den Gedanken erschauernd ab und dachte mir, es wäre vielleicht an der Zeit,
meinen Whiskey vor dem Schlafengehen sein zu lassen. Entweder das, oder die Dosis verdoppeln.
Hitler bildete den Aufmacher der Times, wie so oft in letzter Zeit. Dieses Mal ging es um Österreich.
Ich dachte mir, und nicht zum ersten Mal, wie passend dieses blasse Gesicht mit der schlappen
Haarlocke auf dem Fahndungsplakat im Postamt aussehen würde.
"Dem Jungen geht's prächtig, Peoria", sagte ich. "Dem Jungen geht es so geschmiert wie frischer
Farbe an einer Abortwand."
Ich warf ein Zehncentstück in die Corona--Zigarrenkiste auf Peorias Zeitungsstapel. Die Times kostet
drei Cent, und das ist noch zu teuer, aber ich werfe seit urdenklichen Zeiten dieselbe Münze in Peorias
Kleingeldkiste. Er ist ein guter Junge und bekommt gute Noten in der Schule -- das habe ich letztes
Jahr selbst überprüft, als er mir im Fall Weld geholfen hatte. Wenn Peoria nicht auf Harris Brunners
Hausboot aufgekreuzt wäre, würde ich immer noch versuchen, mit den Füßen in einem Betonklotz
irgendwo vor Malibu zu schwimmen. Es wäre untertrieben zu sagen, daß ich ihm eine Menge
verdanke.
Im Lauf dieser speziellen Ermittlung (Peoria Smith, nicht Harris Brunner und Mavis Weld), fand ich
sogar den richtigen Namen des Jungen heraus, aber den könnten keine zehn Pferde aus mir
herauslocken. Peorias Vater sprang am schwarzen Freitag vom neunten Stock eines Bürogebäudes in
eine ewige Kaffeepause, seine Mutter ist die einzige Weiße, die in der abgewirtschafteten chinesischen
Wäscherei in der La Punta arbeitet, und der Junge ist blind. Muß die Welt bei alledem noch erfahren,
daß sie ihm Francis angehängt haben, als er noch zu klein war, sich zu wehren? Die Verteidigung ruht.
Wenn in der Nacht zuvor etwas Saftiges passiert ist, findet man es fast immer auf Seite eins der
Times, linke Seite, direkt unter dem Knick. Ich drehte die Zeitung um und fand heraus, daß ein
Bandleader kubanischer Herkunft einen Herzanfall gehabt hatte, als er mit seiner Sängerin im
Carousel in Burbank tanzte. Er starb eine Stunde später im L. A. General. Ich empfand ein gewisses
Mitgefühl für die Witwe des Maestro, aber keines für den Mann selbst. Meiner Meinung nach
verdienen Leute, die in Burbank tanzen gehen, was sie bekommen.
Ich schlug den Sportteil auf, um zu erfahren, wie sich Brooklyn tags zuvor bei ihrem Doppel mit den
Cards geschlagen hatte. "Was ist mit dir, Peoria? In deinem Schloß alles zum Besten? Zinnen und
Wachttürme in gutem Zustand?"
"Das will ich meinen, Mr. Umney! O Mann!"
Etwas in seiner Stimme weckte meine Aufmerksamkeit, daher senkte ich die Zeitung und sah ihn
genauer an. Da sah ich dann, was ein hochkarätiger Schnüffler wie ich eigentlich gleich hätte
bemerken sollen: der Junge platzte förmlich vor Glück.
"Du siehst aus, als hätte dir gerade jemand sechs Freikarten für das erste Spiel der Weltserie
gegeben", sagte ich. "Was ist los, Peoria?"
"Meine Mom hat unten in Tijuana in der Lotterie gewonnen!" sagte er. "Vierzigtausend Piepen! Wir
sind reich, Bruder! Reich!"
Ich schenkte ihm ein Grinsen, das er nicht sehen konnte, und raufte ihm das Haar. Sein Wirbel stand
danach hoch, aber was soll's. "Mann, du kriegst die Tür nicht zu. Wie alt bist du, Peoria?"
"Zwölf, im Mai. Das müßten Sie doch wissen, Mr. Umney, Sie haben mir ein Polohemd geschenkt.
Aber ich verstehe nicht, was das damit zu tun hat, daß..."
"Zwölf ist alt genug, um zu wissen, daß die Leute manchmal das, was sie sich wünschen, mit dem
verwechseln, was tatsächlich passiert. Mehr wollte ich damit nicht sagen."
"Wenn Sie von Tagträumen sprechen, haben Sie recht -- ich weiß alles darüber", sagte Peoria und
strich mit den Händen über den Hinterkopf, um seinen Wirbel wieder glatt zu streichen, "aber das ist
kein Tagtraum, Mr. Umney. Es ist echt! Mein Onkel Fred war gestern nachmittag unten und hat das
Geld geholt. Er hat es in der Satteltasche seines Vinnie zurückgebracht! Ich habe es gerochen!
Verdammt, ich habe mich darin gewälzt! Es war alles auf Moms Bett ausgebreitet! Ich kann Ihnen
sagen, das tollste Gefühl, das ich je hatte -- geile vierzigtausend Mäuse!"
"Zwölf mag alt genug sein, den Unterschied zwischen Tagträumen und der Wirklichkeit zu kennen,
aber es ist mit Sicherheit nicht alt genug für solche Worte", sagte ich. Das hörte sich gut an -- ich bin
sicher, die Legion für Anstand und Sitte hätte es zweitausendprozentig gebilligt --, aber mein Mund lief
auf Autopilot und ich hörte kaum, was heraus kam. Ich war zu sehr damit beschäftigt, ins Hirn zu
bekommen, was er mir gerade gesagt hatte. Eines wußte ich mit Sicherheit: er hatte sich geirrt. Er
mußte sich geirrt haben, denn wenn es stimmen würde, dann würde Peoria nicht mehr hier stehen,
wenn ich auf dem Weg zu meinem Büro im Fulwider Building vorbeikam. Und das konnte einfach nicht
sein.
Ich stellte fest, daß meine Gedanken zu den Demmicks zurück kehrten, die zum ersten Mal seit
Anbeginn der Geschichtsschreibung keine ihrer Big Band--Platten mit voller Lautstärke gespielt hatten,
bevor sie zu Bett gegangen waren, und an Buster, der zum ersten Mal seit Anbeginn der
Geschichtsschreibung nicht mit einem Bombardement von Gebell reagiert hatte, als George den
Schlüssel im Schloß herum drehte. Der Gedanke, daß etwas aus dem Lot war, stellte sich wieder ein,
stärker als vorher.
Derweil betrachtete mich Peoria mit einem Ausdruck, den ich nie auf seinem ehrlichen, offenen
Gesicht erwartet hätte: mürrische Gereiztheit verbunden mit verzweifeltem Humor. So sah ein Kind
einen Windbeutel von Onkel an, der seine ganzen Geschichten, selbst die langweiligen, drei-- oder
viermal erzählt hat.
"Kapieren Sie diese Nachricht nicht, Mr. Umney? Wir sind reich! Meine Mutter muß keine Hemden
mehr für diesen verfluchten Lee Ho mehr bügeln, und ich muß keine Zeitungen an der Ecke mehr
verkaufen, im Winter zittern, wenn es regnet, und diesen verrückten alten Säcken in den Arsch
kriechen, die bei Bilder's arbeiten. Ich kann aufhören, so zu tun, als wäre ich im Himmel, wenn mir ein
Schwanzlutscher einen Nickel Trinkgeld gibt."
Daraufhin zuckte ich ein wenig zusammen, aber zum Teufel -- ich war kein Nickel--Typ. Ich gab Peoria
tagaus, tagein sieben Cent. Es sei denn, ich war so pleite, daß ich es mir nicht leisten konnte, aber in
meiner Branche gehört eine gelegentliche Dürreperiode zum Geschäft.
"Vielleicht sollten wir zu Blondie's gehen und eine Tasse Java trinken", sagte ich. "Und über alles
unterhalten."
"Geht nicht. Das ist geschlossen."
"Blondie's? Was du nicht sagst!"
Aber Peoria konnte nicht mit so weltlichen Dingen wie dem Coffee Shop in der Straße behelligt
werden. "Das Beste haben Sie noch gar nicht gehört, Mr. Umney! Mein Onkel Fred kennt einen Arzt in
Frisco -- einen Spezialisten --, der glaubt, daß er etwas wegen meinen Augen machen kann." Er
wandte mir das Gesicht zu. Seine Lippen unter der Brille und der zu schmalen Nase bebten. "Er sagt,
vielleicht liegt es doch nicht am Sehnerv, und wenn nicht, könnte man es operieren... ich verstehe die
technischen Sachen nicht, aber ich könnte wieder sehen, Mr. Umney!" Er tastete blind nach mir... na
klar. Wie sonst hätte er denn nach mir tasten sollen? "Ich könnte wieder sehen!"
Er tastete nach mir und ich ergriff seine Hände und drückte sie kurz, bevor ich ihn sanft wegschob. Er
hatte Druckerschwärze an den Fingern, und mir war es nach dem Aufstehen so gut gegangen, daß ich
mein neues weißes Hemd angezogen hatte. Selbstverständlich zu warm für den Sommer, aber
heutzutage ist die ganze Stadt klimatisiert, und außerdem friere ich von Natur aus.
Im Augenblick allerdings war mir alles andere als kalt. Peoria sah zu mir auf, und sein dünnes und
irgendwie perfektes Zeitungsjungengesicht wirkte besorgt. Eine leichte Brise -- mit Oleander und
Abgasen geschwängert -- zauste seinen Wirbel, und da fiel mir auf, daß ich den sehen konnte, weil er
seine Tweedmütze nicht aufhatte. Ohne die sah er irgendwie nackt aus, warum auch nicht? Jeder
Zeitungsjunge sollte eine Tweedmütze tragen, so wie jeder Schuhputzer eine Spitzkappe auf dem
Kopf zurück geschoben tragen sollte.
"Was ist denn los, Mr. Umney? Ich dachte mir, Sie würden sich freuen. Herrgott, ich hätte heute nicht
zu dieser verfluchten Ecke kommen müssen, wissen Sie, aber ich bin gekommen -- ich kam sogar
früher her, weil ich so eine Ahnung hatte, daß Sie früher kommen würden. Ich dachte mir, Sie würden
sich freuen, daß meine Mom in der Lotterie gewonnen hat und ich vielleicht operiert werden kann,
aber Sie freuen sich nicht." Jetzt bebte seine Stimme vor Enttäuschung. "Gar nicht!"
"Aber ja doch", sagte ich und wollte mich freuen -- jedenfalls ein Teil von mir --, aber das Schlimme
war, er hatte weitgehend recht. Sehen Sie, es bedeutete, daß die Welt sich verändern würde, aber die
Welt sollte sich nicht verändern. Peoria Smith sollte genau hier stehen, jahrein, jahraus, mit seiner
perfekten Mütze, die er an heißen Tagen in den Nacken schob und an regnerischen tief in die Stirn
zog, so daß Regen vom Schirm tropfte. Er sollte immer lächeln, er sollte niemals "geil" oder
"Schwanzlutscher" sagen, aber am allermeisten sollte er blind sein.
"Sie freuen sich nicht!" sagte er, und dann stieß er schockierenderweise seinen Kartentisch um. Dieser
fiel auf die Straße, Zeitungen flatterten überall hin. Sein weißer Stock rollte in den Rinnstein. Peoria
hörte ihn fallen und bückte sich, um ihn aufzuheben. Ich konnte Tränen sehen, die unter seiner
dunklen Brille hervorliefen und an seinen blassen, dünnen Wangen hinabrannen. Er tastete nach dem
Stock, aber der war zu mir gerollt und er suchte in der falschen Richtung. Ich verspürte plötzlich den
übermächtigen Wunsch, ihn hochzuziehen und in seinen blinden Zeitungsjungenarsch zu treten.
Statt dessen bückte ich mich, hob seinen Stock auf und klopfte ihm damit leicht gegen die Hüfte.
Peoria drehte sich schnell wie der Blitz um und packte ihn. Aus den Augenwinkeln sah ich Bilder von
Hitler und dem jüngst verstorbenen kubanischen Bandleader über den ganzen Sunset Boulevard
flattern -- ein Bus Richtung Van Ness schnaubte durch eine kleine Verwehung von ihnen und ließ
einen bitteren Nachgeschmack von Dieselabgasen hinter sich zurück. Mir mißfiel, wie diese Zeitungen
aussahen, die hierhin und dorthin flatterten. Sie sahen unordentlich aus. Schlimmer, sie sahen falsch
aus. Durch und durch falsch. Ich kämpfte gegen einen erneuten Impuls, so stark wie der erste, Peoria
zu packen und zu schütteln. Ihm zu sagen, daß er den ganzen Vormittag damit verbringen würde,
diese Zeitungen aufzuheben, und ich ihn erst nach Hause gehen lassen würde, wenn er jede einzelne
eingesammelt hatte.
Mir fiel ein, daß ich noch vor zehn Minuten gedacht hatte, dies wäre ein perfekter L. A.--Morgen -- so
perfekt, daß er das eingetragene Warenzeichen verdiente. Und das war er auch gewesen, verdammt.
Wie hatte alles nur so schiefgehen können? Und wie konnte es so schnell geschehen?
Keine Antworten kamen, nur die irrationale aber mächtige Stimme aus dem Inneren, die mir sagte,
daß die Mutter des Jungen unmöglich in der Lotterie gewonnen haben konnte, daß der Junge nicht
aufhören konnte, Zeitungen zu verkaufen, und daß er vor allen Dingen nicht sehen konnte. Peoria
Smith sollte den Rest seines Lebens blind sein.
Nun, es wird etwas im Experimentierstadium sein, dachte ich. Selbst wenn der Arzt in Frisco kein
Quacksalber ist, und das ist er wahrscheinlich, wird sie schiefgehen.
Und so bizarr es sich anhören mag, dieser Gedanke beruhigte mich.
"Hör zu", sagte ich, "wir sind beide heute morgen mit dem falschen Fuß aufgestanden, das ist alles.
Ich will es wieder gut machen. Gehen wir zu Blondie's und ich spendieren dir ein Frühstück. Was
meinst du, Peoria? Du kannst einen Teller Eier mit Speck verputzen und mir erzählen..."
"Hol dich der Teufel!" schrie er und schockierte mich damit bis in die Zehenspitzen. "Hol dich der
Teufel, mitsamt dem Pferd, auf dem du hergeritten bist, du billiger Schwindler! Glaubst du, Blinde
merken nicht, wenn Leute wie du wie gedrucktlogen? Hol dich der Teufel! Und laß von jetzt an die
Hände von mir! Ich glaube, du bist eine Tunte!"
Das reichte -- niemand nennt mich eine Tunte und kommt ungestraft davon, nicht einmal ein blinder
Zeitungsjunge. Ich vergaß vollkommen, wie mir Peoria während des Falls Mavis Weld das Leben
gerettet hatte, ich griff nach seinem Stock, den ich ihm wegnehmen und den Hosenboden damit
strammziehen wollte. Ihm Manieren beibringen.
Aber bevor ich ihn ergreifen konnte, holte Peoria aus und rammte mir den Stock in den Unterleib --
und ich meine unter. Ich knickte vor Schmerzen zusammen, aber noch während ich versuchte, nicht
vor Schmerzen zu heulen, überlegte ich mir, daß ich Glück gehabt hatte, drei Zentimeter tiefer und ich
könnte aufhören meinen Lebensunterhalt mit Schnüffeln zu verdienen, und stattdessen einen Job als
Sopran im Dogenpalast annehmen.
Ich streckte dennoch rasch und unwillkürlich die Hand nach ihm aus, und da schlug er mir mit dem
Stock in den Nacken. Fest. Der Stock brach nicht, aber ich hörte ihn knirschen. Ich überlegte mir, daß
ich dem Stock den Rest geben konnte, wenn ich ihn zu fassen bekam und Peoria ins rechte Ohr
rammte. Ich würde ihm schon zeigen, wer eine Tunte war.
Er wich vor mir zurück, als hätte er meine Gedanken gelesen, und warf den Stock auf die Straße.
"Peoria", brachte ich heraus. Vielleicht war es noch nicht zu spät, die Vernunft noch am Rockzipfel zu
erwischen. "Peoria, verdammt, was ist denn nur los mit..."
"Und nennen Sie mich nicht so!" schrie er. "Mein Name ist Francis! Frank! Sie haben damit
angefangen, mich Peoria zu nennen! Sie haben damit angefangen, und jetzt nennen mich alle so, und
das stinkt mir!"
Meine tränenden Augen sahen ihn doppelt, als er herum wirbelte und über die Straße rannte, ohne
auf den Verkehr zu achten (zum Glück für ihn herrschte gerade keiner), und dabei die Hände vor sich
ausstreckte. Ich dachte, er würde auf der anderen Seite über den Bordstein stolpern -- freute mich
sogar schon darauf --, aber ich schätze, Blinde müssen einen guten Satz topographischer Karten im
Kopf haben. Er sprang behende wie eine Ziege auf den Gehweg, dann drehte er die schwarze Brille in
meine Richtung zurück. Sein tränenüberströmtes Gesicht drückte irren Triumph aus, und die dunklen
Gläser sahen mehr denn je wie Löcher aus. Große, als hätte ihm jemand zwei Schüsse mit einer
großkalibrigen Schrotflinte verpaßt.
"Blondie ist fort, das hab ich Ihnen gesagt!" schrie er. "Meine Mom sagt, er ist mit dieser rothaarigen
Schlampe auf und davon, die er letzten Monat eingestellt hat! Dein Pech, du häßlicher Wichser!"
Er drehte sich um und lief mit seiner seltsamen Gangart weiter den Sunset entlang, die gespreizten
Finger vor sich ausgestreckt. Leute standen in kleinen Gruppen auf beiden Straßenseiten,
betrachteten ihn, betrachteten die flatternden Zeitungen, betrachteten mich.
Hauptsächlich mich, schien es.
Dieses Mal schaffte es Peoria -- gut, meinetwegen, Francis -- bis zu Derringer's Bar, bevor er sich
umdrehte und seine letzte Salve abfeuerte.
"Der Teufel soll Sie holen, Mr. Umney!" schrie er und lief weiter.
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