Kafka der prozess, Germanistyka, Lektury

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Franz Kafka
Der Prozeß
Quelle:
Erstellt am 07.06.2004
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1. Kapitel: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein
Bürstner
Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er
eines Morgens verhaftet. Die Köchin der Frau Grubach, seiner Zimmervermieterin, die ihm jeden
Tag gegen acht Uhr früh das Frühstück brachte, kam diesmal nicht. Das war noch niemals
geschehen. K. wartete noch ein Weilchen, sah von seinem Kopfkissen aus die alte Frau, die ihm
gegenüber wohnte und die ihn mit einer an ihr ganz ungewöhnlichen Neugierde beobachtete, dann
aber, gleichzeitig befremdet und hungrig, läutete er. Sofort klopfte es und ein Mann, den er in dieser
Wohnung noch niemals gesehen hatte, trat ein. Er war schlank und doch fest gebaut, er trug ein
anliegendes schwarzes Kleid, das, ähnlich den Reiseanzügen, mit verschiedenen Falten, Taschen,
Schnallen, Knöpfen und einem Gürtel versehen war und infolgedessen, ohne daß man sich darüber
klar wurde, wozu es dienen sollte, besonders praktisch erschien. »Wer sind Sie?« fragte K. und saß
gleich halb aufrecht im Bett. Der Mann aber ging über die Frage hinweg, als müsse man seine
Erscheinung hinnehmen, und sagte bloß seinerseits: »Sie haben geläutet?« »Anna soll mir das
Frühstück bringen«, sagte K. und versuchte, zunächst stillschweigend, durch Aufmerksamkeit und
Überlegung festzustellen, wer der Mann eigentlich war. Aber dieser setzte sich nicht allzulange
seinen Blicken aus, sondern wandte sich zur Tür, die er ein wenig öffnete, um jemandem, der
offenbar knapp hinter der Tür stand, zu sagen: »Er will, daß Anna ihm das Frühstück bringt.« Ein
kleines Gelächter im Nebenzimmer folgte, es war nach dem Klang nicht sicher, ob nicht mehrere
Personen daran beteiligt waren. Obwohl der fremde Mann dadurch nichts erfahren haben konnte,
was er nicht schon früher gewußt hätte, sagte er nun doch zu K. im Tone einer Meldung: »Es ist
unmöglich.« »Das wäre neu«, sagte K., sprang aus dem Bett und zog rasch seine Hosen an. »Ich
will doch sehen, was für Leute im Nebenzimmer sind und wie Frau Grubach diese Störung mir
gegenüber verantworten wird.« Es fiel ihm zwar gleich ein, daß er das nicht hätte laut sagen müssen
und daß er dadurch gewissermaßen ein Beaufsichtigungsrecht des Fremden anerkannte, aber es
schien ihm jetzt nicht wichtig. Immerhin faßte es der Fremde so auf, denn er sagte: »Wollen Sie
nicht lieber hierbleiben?« »Ich will weder hierbleiben, noch von Ihnen angesprochen werden,
solange Sie sich mir nicht vorstellen.« »Es war gut gemeint«, sagte der Fremde und öffnete nun
freiwillig die Tür. Im Nebenzimmer, in das K. langsamer eintrat, als er wollte, sah es auf den ersten
Blick fast genau so aus wie am Abend vorher. Es war das Wohnzimmer der Frau Grubach,
vielleicht war in diesem mit Möbeln, Decken, Porzellan und Photographien überfüllten Zimmer heute
ein wenig mehr Raum als sonst, man erkannte das nicht gleich, um so weniger, als die
Hauptveränderung in der Anwesenheit eines Mannes bestand, der beim offenen Fenster mit einem
Buch saß, von dem er jetzt aufblickte. »Sie hätten in Ihrem Zimmer bleiben sollen! Hat es Ihnen denn
Franz nicht gesagt?« »Ja, was wollen Sie denn?« sagte K. und sah von der neuen Bekanntschaft
zu dem mit Franz Benannten, der in der Tür stehengeblieben war, und dann wieder zurück. Durch
das offene Fenster erblickte man wieder die alte Frau, die mit wahrhaft greisenhafter Neugierde zu
dem jetzt gegenüberliegenden Fenster getreten war, um auch weiterhin alles zu sehen. »Ich will
doch Frau Grubach -«, sagte K., machte eine Bewegung, als reiße er sich von den zwei Männern los,
die aber weit von ihm entfernt standen, und wollte weitergehen. »Nein«, sagte der Mann beim
Fenster, warf das Buch auf ein Tischchen und stand auf. »Sie dürfen nicht weggehen, Sie sind ja
verhaftet.« »Es sieht so aus«, sagte K. »Und warum denn?« fragte er dann. »Wir sind nicht dazu
bestellt, Ihnen das zu sagen. Gehen Sie in Ihr Zimmer und warten Sie. Das Verfahren ist nun
einmal eingeleitet, und Sie werden alles zur richtigen Zeit erfahren. Ich gehe über meinen Auftrag
hinaus, wenn ich Ihnen so freundschaftlich zurede. Aber ich hoffe, es hört es niemand sonst als
Franz, und der ist selbst gegen alle Vorschrift freundlich zu Ihnen. Wenn Sie auch weiterhin so viel
Glück haben wie bei der Bestimmung Ihrer Wächter, dann können Sie zuversichtlich sein.« K. wollte
sich setzen, aber nun sah er, daß im ganzen Zimmer keine Sitzgelegenheit war, außer dem Sessel
beim Fenster. »Sie werden noch einsehen, wie wahr das alles ist«, sagte Franz und ging
gleichzeitig mit dem andern Mann auf ihn zu. Besonders der letztere überragte K. bedeutend und
klopfte ihm öfters auf die Schulter. Beide prüften K.s Nachthemd und sagten, daß er jetzt ein viel
schlechteres Hemd werde anziehen müssen, daß sie aber dieses Hemd wie auch seine übrige Wäsche
aufbewahren und, wenn seine Sache günstig ausfallen sollte, ihm wieder zurückgeben würden. »Es
ist besser, Sie geben die Sachen uns als ins Depot«, sagten sie, »denn im Depot kommen öfters
Unterschleife vor und außerdem verkauft man dort alle Sachen nach einer gewissen Zeit, ohne
Rücksicht, ob das betreffende Verfahren zu Ende ist oder nicht. Und wie lange dauern doch
derartige Prozesse, besonders in letzter Zeit! Sie bekämen dann schließlich allerdings vom Depot
den Erlös, aber dieser Erlös ist erstens an sich schon gering, denn beim Verkauf entscheidet nicht
die Höhe des Angebotes, sondern die Höhe der Bestechung, und weiter verringern sich solche Erlöse
erfahrungsgemäß, wenn sie von Hand zu Hand und von Jahr zu Jahr weitergegeben werden.« K.
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achtete auf diese Reden kaum, das Verfügungsrecht über seine Sachen, das er vielleicht noch besaß,
schätzte er nicht hoch ein, viel wichtiger war es ihm, Klarheit über seine Lage zu bekommen; in
Gegenwart dieser Leute konnte er aber nicht einmal nachdenken, immer wieder stieß der Bauch
des zweiten Wächters - es konnten ja nur Wächter sein - förmlich freundschaftlich an ihn, sah er aber
auf, dann erblickte er ein zu diesem dicken Körper gar nicht passendes trockenes, knochiges
Gesicht mit starker, seitlich gedrehter Nase, das sich über ihn hinweg mit dem anderen Wächter
verständigte. Was waren denn das für Menschen? Wovon sprachen sie? Welcher Behörde gehörten
sie an? K. lebte doch in einem Rechtsstaat, überall herrschte Friede, alle Gesetze bestanden
aufrecht, wer wagte, ihn in seiner Wohnung zu überfallen? Er neigte stets dazu, alles möglichst leicht
zu nehmen, das Schlimmste erst beim Eintritt des Schlimmsten zu glauben, keine Vorsorge für die
Zukunft zu treffen, selbst wenn alles drohte. Hier schien ihm das aber nicht richtig, man konnte
zwar das Ganze als Spaß ansehen, als einen groben Spaß, den ihm aus unbekannten Gründen,
vielleicht weil heute sein dreißigster Geburtstag war, die Kollegen in der Bank veranstaltet hatten,
es war natürlich möglich, vielleicht brauchte er nur auf irgendeine Weise den Wächtern ins Gesicht zu
lachen, und sie würden mitlachen, vielleicht waren es Dienstmänner von der Straßenecke, sie sahen
ihnen nicht unähnlich - trotzdem war er diesmal, förmlich schon seit dem ersten Anblick des Wächters
Franz, entschlossen, nicht den geringsten Vorteil, den er vielleicht gegenüber diesen Leuten besaß,
aus der Hand zu geben. Darin, daß man später sagen würde, er habe keinen Spaß verstanden, sah K.
eine ganz geringe Gefahr, wohl aber erinnerte er sich - ohne daß es sonst seine Gewohnheit
gewesen wäre, aus Erfahrungen zu lernen - an einige, an sich unbedeutende Fälle, in denen er zum
Unterschied von seinen Freunden mit Bewußtsein, ohne das geringste Gefühl für die möglichen Folgen,
sich unvorsichtig benommen hatte und dafür durch das Ergebnis gestraft worden war. Es sollte
nicht wieder geschehen, zumindest nicht diesmal; war es eine Komödie, so wollte er mitspielen.
Noch war er frei. »Erlauben Sie«, sagte er und ging eilig zwischen den Wächtern durch in sein
Zimmer. »Er scheint vernünftig zu sein«, hörte er hinter sich sagen. In seinem Zimmer riß er gleich die
Schubladen des Schreibtischs auf, es lag dort alles in großer Ordnung, aber gerade die
Legitimationspapiere, die er suchte, konnte er in der Aufregung nicht gleich finden. Schließlich fand
er seine Radfahrlegitimation und wollte schon mit ihr zu den Wächtern gehen, dann aber schien ihm
das Papier zu geringfügig und er suchte weiter, bis er den Geburtsschein fand. Als er wieder in das
Nebenzimmer zurückkam, öffnete sich gerade die gegenüberliegende Tür und Frau Grubach wollte dort
eintreten. Man sah sie nur einen Augenblick, denn kaum hatte sie K. erkannt, als sie offenbar
verlegen wurde, um Verzeihung bat, verschwand und äußerst vorsichtig die Tür schloß. »Kommen Sie
doch herein«, hatte K. gerade noch sagen können. Nun aber stand er mit seinen Papieren in der
Mitte des Zimmers, sah noch auf die Tür hin, die sich nicht wieder öffnete, und wurde erst durch
einen Anruf der Wächter aufgeschreckt, die bei dem Tischchen am offenen Fenster saßen und, wie
K. jetzt erkannte, sein Frühstück verzehrten. »Warum ist sie nicht eingetreten?« fragte er. »Sie darf
nicht«, sagte der große Wächter. »Sie sind doch verhaftet.« »Wie kann ich denn verhaftet sein? Und
gar auf diese Weise?« »Nun fangen Sie also wieder an«, sagte der Wächter und tauchte ein
Butterbrot ins Honigfäßchen. »Solche Fragen beantworten wir nicht.« »Sie werden sie beantworten
müssen«, sagte K. »Hier sind meine Legitimationspapiere, zeigen Sie mir jetzt die Ihrigen und vor
allem den Verhaftbefehl.« »Du lieber Himmel!« sagte der Wächter. »Daß Sie sich in Ihre Lage nicht
fügen können und daß Sie es darauf angelegt zu haben scheinen, uns, die wir Ihnen jetzt
wahrscheinlich von allen Ihren Mitmenschen am nächsten stehen, nutzlos zu reizen!« »Es ist so,
glauben Sie es doch«, sagte Franz, führte die Kaffeetasse, die er in der Hand hielt, nicht zum
Mund, sondern sah K. mit einem langen, wahrscheinlich bedeutungsvollen, aber unverständlichen
Blick an. K. ließ sich, ohne es zu wollen, in ein Zwiegespräch der Blicke mit Franz ein, schlug dann
aber doch auf seine Papiere und sagte: »Hier sind meine Legitimationspapiere.« »Was kümmern
uns denn die?« rief nun schon der große Wächter. »Sie führen sich ärger auf als ein Kind. Was wollen
Sie denn? Wollen Sie Ihren großen, verfluchten Prozeß dadurch zu einem raschen Ende bringen, daß
Sie mit uns, den Wächtern, über Legitimation und Verhaftbefehl diskutieren? Wir sind niedrige
Angestellte, die sich in einem Legitimationspapier kaum auskennen und die mit Ihrer Sache nichts
anderes zu tun haben, als daß sie zehn Stunden täglich bei Ihnen Wache halten und dafür bezahlt
werden. Das ist alles, was wir sind, trotzdem aber sind wir fähig, einzusehen, daß die hohen
Behörden, in deren Dienst wir stehen, ehe sie eine solche Verhaftung verfügen, sich sehr genau über
die Gründe der Verhaftung und die Person des Verhafteten unterrichten. Es gibt darin keinen
Irrtum. Unsere Behörde, soweit ich sie kenne, und ich kenne nur die niedrigsten Grade, sucht doch
nicht etwa die Schuld in der Bevölkerung, sondern wird, wie es im Gesetz heißt, von der Schuld
angezogen und muß uns Wächter ausschicken. Das ist Gesetz. Wo gäbe es da einen Irrtum?«
»Dieses Gesetz kenne ich nicht«, sagte K. »Desto schlimmer für Sie«, sagte der Wächter. »Es
besteht wohl auch nur in Ihren Köpfen«, sagte K., er wollte sich irgendwie in die Gedanken der
Wächter einschleichen, sie zu seinen Gunsten wenden oder sich dort einbürgern. Aber der Wächter
sagte nur abweisend: »Sie werden es zu fühlen bekommen.« Franz mischte sich ein und sagte:
»Sieh, Willem, er gibt zu, er kenne das Gesetz nicht, und behauptet gleichzeitig, schuldlos zu
sein.« »Du hast ganz recht, aber ihm kann man nichts begreiflich machen«, sagte der andere. K.
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antwortete nichts mehr; muß ich, dachte er, durch das Geschwätz dieser niedrigsten Organe - sie
geben selbst zu, es zu sein - mich noch mehr verwirren lassen? Sie reden doch jedenfalls von
Dingen, die sie gar nicht verstehen. Ihre Sicherheit ist nur durch ihre Dummheit möglich. Ein paar
Worte, die ich mit einem mir ebenbürtigen Menschen sprechen werde, werden alles unvergleichlich
klarer machen als die längsten Reden mit diesen. Er ging einige Male in dem freien Raum des
Zimmers auf und ab, drüben sah er die alte Frau, die einen noch viel älteren Greis zum Fenster
gezerrt hatte, den sie umschlungen hielt. K. mußte dieser Schaustellung ein Ende machen: »Führen
Sie mich zu Ihrem Vorgesetzten«, sagte er. »Wenn er es wünscht; nicht früher«, sagte der Wächter,
der Willem genannt worden war. »Und nun rate ich Ihnen«, fügte er hinzu, »in Ihr Zimmer zu gehen,
sich ruhig zu verhalten und darauf zu warten, was über Sie verfügt werden wird. Wir raten Ihnen,
zerstreuen Sie sich nicht durch nutzlose Gedanken, sondern sammeln Sie sich, es werden große
Anforderungen an Sie gestellt werden. Sie haben uns nicht so behandelt, wie es unser
Entgegenkommen verdient hätte, Sie haben vergessen, daß wir, mögen wir auch sein was immer,
zumindest jetzt Ihnen gegenüber freie Männer sind, das ist kein kleines Übergewicht. Trotzdem sind
wir bereit, falls Sie Geld haben, Ihnen ein kleines Frühstück aus dem Kaffeehaus drüben zu bringen.«
Ohne auf dieses Angebot zu antworten, stand K. ein Weilchen lang still. Vielleicht würden ihn die
beiden, wenn er die Tür des folgenden Zimmers oder gar die Tür des Vorzimmers öffnete, gar nicht zu
hindern wagen, vielleicht wäre es die einfachste Lösung des Ganzen, daß er es auf die Spitze trieb.
Aber vielleicht würden sie ihn doch packen und, war er einmal niedergeworfen, so war auch alle
Überlegenheit verloren, die er jetzt ihnen gegenüber in gewisser Hinsicht doch wahrte. Deshalb zog
er die Sicherheit der Lösung vor, wie sie der natürliche Verlauf bringen mußte, und ging in sein
Zimmer zurück, ohne daß von seiner Seite oder von Seite der Wächter ein weiteres Wort gefallen wäre.
Er warf sich auf sein Bett und nahm vom Waschtisch einen schönen Apfel, den er sich gestern
abend für das Frühstück vorbereitet hatte. Jetzt war er sein einziges Frühstück und jedenfalls, wie er
sich beim ersten großen Bissen versicherte, viel besser, als das Frühstück aus dem schmutzigen
Nachtcafé gewesen wäre, das er durch die Gnade der Wächter hätte bekommen können. Er fühlte sich
wohl und zuversichtlich, in der Bank versäumte er zwar heute vormittag seinen Dienst, aber das
war bei der verhältnismäßig hohen Stellung, die er dort einnahm, leicht entschuldigt. Sollte er die
wirkliche Entschuldigung anführen? Er gedachte es zu tun, Würde man ihm nicht glauben, was in
diesem Fall begreiflich war, so konnte er Frau Grubach als Zeugin führen oder auch die beiden
Alten von drüben, die wohl jetzt auf dem Marsch zum gegenüberliegenden Fenster waren. Es
wunderte K., wenigstens aus dem Gedankengang der Wächter wunderte es ihn, daß sie ihn in das
Zimmer getrieben und ihn hier allein gelassen hatten, wo er doch zehnfache Möglichkeit hatte, sich
umzubringen. Gleichzeitig allerdings fragte er sich, diesmal aus seinem Gedankengang, was für
einen Grund er haben könnte, es zu tun. Etwa weil die zwei nebenan saßen und sein Frühstück
abgefangen hatten? Es wäre so sinnlos gewesen, sich umzubringen, daß er, selbst wenn er es hätte
tun wollen, infolge der Sinnlosigkeit dazu nicht imstande gewesen wäre. Wäre die geistige
Beschränktheit der Wächter nicht so auffallend gewesen, so hätte man annehmen können, daß auch sie,
infolge der gleichen Überzeugung, keine Gefahr darin gesehen hätten, ihn allein zu lassen. Sie
mochten jetzt, wenn sie wollten, zusehen, wie er zu einem Wandschränkchen ging, in dem er einen
guten Schnaps aufbewahrte, wie er ein Gläschen zuerst zum Ersatz des Frühstücks leerte und wie er
ein zweites Gläschen dazu bestimmte, sich Mut zu machen, das letztere nur aus Vorsicht für den
unwahrscheinlichen Fall, daß es nötig sein sollte.
Da erschreckte ihn ein Zuruf aus dem Nebenzimmer derartig, daß er mit den Zähnen ans Glas
schlug. »Der Aufseher ruft Sie!« hieß es. Es war nur das Schreien, das ihn erschreckte, dieses
kurze, abgehackte, militärische Schreien, das er dem Wächter Franz gar nicht zugetraut hätte. Der
Befehl selbst war ihm sehr willkommen. »Endlich!« rief er zurück, versperrte den Wandschrank und
eilte sofort ins Nebenzimmer. Dort standen die zwei Wächter und jagten ihn, als wäre das
selbstverständlich, wieder in sein Zimmer zurück. »Was fällt Euch ein?« riefen sie. »Im Hemd wollt Ihr
vor den Aufseher? Er läßt Euch durchprügeln und uns mit!« »Laßt mich, zum Teufel!« rief K., der schon
bis zu seinem Kleiderkasten zurückgedrängt war, »wenn man mich im Bett überfällt, kann man nicht
erwarten, mich im Festanzug zu finden.« »Es hilft nichts«, sagten die Wächter, die immer, wenn K.
schrie, ganz ruhig, ja fast traurig wurden und ihn dadurch verwirrten oder gewissermaßen zur
Besinnung brachten. »Lächerliche Zeremonien!« brummte er noch, hob aber schon einen Rock
vom Stuhl und hielt ihn ein Weilchen mit beiden Händen, als unterbreite er ihn dem Urteil der
Wächter. Sie schüttelten die Köpfe. »Es muß ein schwarzer Rock sein«, sagten sie. K. warf daraufhin
den Rock zu Boden und sagte - er wußte selbst nicht, in welchem Sinne er es sagte -: »Es ist doch
noch nicht die Hauptverhandlung.« Die Wächter lächelten, blieben aber bei ihrem: »Es muß ein
schwarzer Rock Fein.« »Wenn ich dadurch die Sache beschleunige, soll es mir recht sein«, sagte
K., öffnete selbst den Kleiderkasten, suchte lange unter den vielen Kleidern, wählte sein bestes
schwarzes Kleid, ein Jackettkleid, das durch seine Taille unter den Bekannten fast Aufsehen
gemacht hatte, zog nun auch ein anderes Hemd hervor und begann, sich sorgfältig anzuziehen. Im
geheimen glaubte er, eine Beschleunigung des Ganzen damit erreicht zu haben, daß die Wächter
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